Die Casriel-Bonding-Psychotherapie (englisch: „New Identity Process“ oder NIP) ist ein therapeutisches Konzept, das Dan Casriel, Psychiater und Analytiker, aufgrund eines Auftrags des Staates New York für die Arbeit mit schwer Drogenabhängigen in den 60er Jahren begründete.
Bonding: Entwicklung
In Deutschland wurde er in den 70er Jahren bekannt durch das Zusammenarbeiten mit dem damaligen Chefarzt der Psychsomatischen Klinik Bad Herrenalb, Dr. Walther H. Lechler. Seit dieser Zeit arbeiten mehrere psychosomatische Kliniken und niedergelassene Psychotherapeuten in Deutschland, den Niederlanden, in Belgien, Italien, Schweden, Frankreich und in den USA mit dieser Methode. In den letzten Jahren wurde sie von Dr. Konrad Stauss, ehemaliger Chefarzt der Psychosomatischen Klinik Bad Grönenbach, auf der Grundlage der Bindungstheorie, der modernen Hirnforschung und des Prozess- Erfahrungsansatzes von Greenberg (1984) und Elliot (1999) weiterentwickelt und differenziert.
Bonding: Therapiekonzept
Im Mittelpunkt dieses prozess- und erfahrungsorientierten Therapieansatzes steht die Befriedigung der lebensnotwendigen und neurobiologisch verankerten psychosozialen Grundbedürfnisse nach körperlicher Nähe (Bonding) und emotionaler Offenheit, Bindung, Autonomie, Selbstwert, nach körperlichem Wohlbehagen, nach Lust- und Lebenssinn. Im Bonding-Prozess, d.h., in der von Casriel so bezeichneten „Erfahrung von emotionaler Offenheit“, verbunden mit körperlicher Nähe zu einem anderen Menschen, sollen die Verletzungen innerhalb der Bindungen zu Eltern, Geschwistern und anderen prägenden Bindungspersonen aktiviert, und die damit verbundenen Gefühle, negativen Einstellungen, körperlichen Blockierungen und zerstörerischen Verhaltensmuster durchgearbeitet werden.
Ein Teufelskreis von Beziehungssehnsucht, Beziehungsenttäuschung und Beziehungsvermeidung soll auf tiefster Ebene körperlich, emotional und sprachlich in der Therapiegruppe nachvollziehbar gemacht und unterbrochen werden.
Bonding: Methode
Casriel-Therapie wird meist in größeren Gruppen paarweise unter Anleitung und Unterstützung durch mehrere Therapeuten durchgeführt. Nach einer Aufwärmphase wählen sich die Partner. Ein Partner ist Klient, der andere Begleiter. Der Klient legt sich auf einer Matte auf den Rücken, der Begleiter legt sich auf ihn drauf. Der Klient spürt in sich hinein und richtet seine Aufmerksamkeit auf seine Gefühle. Er benennt aufsteigende Gefühle („ich habe Angst“). Der Begleiter fordert ihn auf, diesen Satz lauter zu sprechen, und unterstützt ihn, mit der Aufmerksamkeit bei seinen Gefühlen und deren Veränderung zu bleiben. Der Klient macht das Gefühl immer lauter („ich habe ANGST! – scheiß Angst!“), bis er ganz von diesem Gefühl erfüllt ist und/oder das Gefühl verschwindet und einem anderen Gefühl Raum gibt.
Ein typischer Gefühlsverlauf erfolgt von Angst, über Wut, Schuld, Schmerz, Trauer, zu Freude, Glück und zärtlich liebevoll erotischen Gefühlen. Solche Verläufe können sich mehrfach wiederholen. Eine Sitzung dauert etwa zwei Stunden, die Partner wechseln sich nach der Halbzeit ab.
In der Einstellungsgruppe werden neue positive Einstellungen und der heutigen Realität angemessene Verhaltensweisen erarbeitet. Diese werden in der therapeutischen Gemeinschaft eingeübt und verstärkt. Ob mit wechselseitigem Halten (Bonding), mit anderen körpertherapeutischen Techniken oder im Rahmen der Einstellungsgruppe gearbeitet wird, hängt von der Integrationsfähigkeit des einzelnen Klienten ab.
Bonding: Kontraindikation
Als Bestandteil der Therapie einer Borderline-Persönlichkeitsstörung wird Bonding als absolut kontraindiziert angesehen. Es kann möglicherweise zu einer Aufspaltung der Persönlichkeit führen: Während ein Teil des Patienten sich expressiv verhält, schreit und fühlt, erstarren andere Teile. Sie verkriechen sich, passen sich nun erst recht an ein falsches Selbst an und betreiben dort Krisenmanagement.
Bonding: Kritik
Aus psychoanalytischer Sicht ist der Hauptkritikpunkt am Bonding, dass unklar sei, wie die intensiven Gefühlserlebnisse auf der Matte in den Alltag bzw. in weitere therapeutische Arbeit integriert werden können. Die Aufarbeitung des Erlebten geschieht meist rituell-kollektiv, ohne die Möglichkeit, auf einzelne Lebensgeschichten differenziert einzugehen. Dan Casriel erwähnt in seinen Veröffentlichungen, dass viele Patienten („nicht alle“) nach einer Bonding-Therapie eine Einzeltherapie brauchen.
Verschiedene Bonding-Therapeuten habe das Bonding weiterentwickelt und mit anderen Therapieformen wie Psychodrama, Gestalttherapie, Transaktionsanalyse und Psychoanalyse verbunden.
Literatur
- Konrad Stauss: „Bonding Psychotherapie – Grundlagen und Methoden.“ Kösel, München 2006
- Daniel Casriel: „Die Wiederentdeckung des Gefühls.“ Bertelsmann, München 1975
- Ambros Wehrli: „Einführung in die emotionelle Gruppentherapie nach Casriel – Band 1 – Du schaffst es, aber du schaffst es nicht allein.“ Santiago Verlag, 2006
- Ambros Wehrli: „Ausführungen zur emotionellen Gruppentherapie nach Casriel – Band 2 – Die Lebensschule.“ Santiago Verlag, 2007
Weblinks
- Bonding Psychotherapie: eine Einführung von Jeff Gordon
- Website der Deutschen Gesellschaft für Bonding-Psychotherapie DGBP
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