Körperpsychotherapie, gleichbedeutend mit „körperorientierte Psychotherapie“, ist die Bezeichnung für unterschiedliche Psychotherapiemethoden, die die psychischen und körperlichen Dimensionen menschlichen Erlebens gleichwertig behandeln. Sie teilen die Annahme, dass Körper und Psyche eine nicht trennbare Einheit bilden. Fast alle Körperpsychotherapie-Methoden sind tiefenpsychologisch orientiert und nutzen die Körperwahrnehmung als Möglichkeit, unbewusste psychische Prozesse aufzudecken, also ins Bewusstsein zu bringen. Körperpsychotherapiemethoden arbeiten erfahrungsorientiert, was bedeutet, dass das momentane und vor allem körperlich empfundene Erleben während des Therapieprozesses im Fokus der Aufmerksamkeit steht.
Körperpsychotherapie: Zugang zum Unbewussten
Tiefenpsychologisch fundierte Therapierichtungen, gehen davon aus, dass unbewusste psychische Prozesse menschliches Handeln, Denken und Fühlen wesentlich beeinflussen und die Bewusstmachung dieser unbewussten Vorgänge eine wesentliche Voraussetzung für Veränderung oder Heilung ist. Sigmund Freud bezeichnete die Traumdeutung als den „Königsweg“ für den Zugang zum Unbewussten. Seine Methode der freien Assoziation ergänzte und erweiterte diesen Zugang. In den heutigen Tiefenpsychologisch orientierten Therapierichtungen, spielt die Analyse des Übertragungsgeschehens eine wichtigere Rolle bei der Aufdeckung unbewussten Geschehens. In der Körperpsychotherapie wird der Zugang zum Unbewussten über den Körper gesucht.
Der körperpsychotherapeutische Ansatz
Charles M. Schulz ließ Charlie Brown einmal sinngemäß sagen: „Wenn ich die Mundwinkel nach oben ziehe, ist das ganz schlecht für meine Depression.“ Normalerweise erscheint das ganz selbstverständlich, dass körperliche Haltungen, Gesten und Mimik zu bestimmten Gefühlen „passen“. Im Unterschied zur Alltagssituation, in welcher der körperliche Ausdruck und das körperliche Empfinden wie automatisch und unbewusst einfach geschehen, werden in der Körperpsychotherapie körperliche Phänomene fokussiert und ins Bewusstsein gerückt. Im therapeutischen Interesse stehen vor allem solche körperliche Strukturen oder Abläufe oder Empfindungen, welche so gewohnt und selbstverständlich zum Ich-Gefühl gehören, dass sie nicht bewusst wahrgenommen werden.
Tiefenpsychologisch orientierte Körperpsychotherapeuten gehen davon aus, dass in der körperlichen Organisation des Erwachsenen emotionale Informationen aus der frühen Kindheit gespeichert sind. Dies können aus frühen Erfahrungen abgeleitete “Kernüberzeugungen” sein, wie zum Beispiel: „Ich bin nicht gut genug.“ Nach den Theorien der Körperpsychotherapie werden solche “Kernüberzeugungen” als Gefühl im Körper gespeichert und bestimmen den Glauben, wie die Welt „wirklich“ ist. Danach müsste ein Mensch mit dem seit der Kindheit im Körper verankerten Gefühl: „Ich bin nicht gut genug.“, unabhängig davon, was er real schon geleistet hat und unabhängig davon, was er verstandesmäßig einsieht, doch mehr seinem Gefühl glauben als allen rational begründeten und dagegen sprechenden Argumenten. Körperpsychotherapeuten gehen deshalb davon aus, dass ein gefühlsmäßig verinnerlichter Glauben nur dann verändert werden kann, wenn auf der gefühlten körperlichen Ebene eine andere Erfahrung möglich wird. Albert Pesso nennt diese alternative und realitätsbezogene unmittelbar gefühlte Erfahrung „ Gegengift“. In dem Beispiel des Menschen, der glaubt, nicht gut genug zu sein, wäre dieses „Gegengift“ das im Hier und Jetzt erlebte und von rationalen Abwägungen unabhängige Gefühl, gut genug zu sein.<
Körperpsychotherapeutische Techniken
Die Menge unterschiedlicher Schulen und Techniken ist schwer überschaubar. Prinzipiell können drei Kategorien von Techniken unterschieden werden, nämlich das Arbeiten mittels körperlichen Berührungen, das Arbeiten mittels körperlichen Übungen und das Arbeiten mittels Körperachtsamkeit. Die Auswahl und die Kombination der Techniken sind je nach Körperpsychotherapiemethode verschieden. Körperberührungen können sehr sanft sein und der Bewusstwerdung dienen, oder können massiv mit dem Ziel einer körperlichen Veränderung eingesetzt werden. Bei den körperlichen Übungen reicht die Spannweite von der Einnahme von „Stresspositionen“ mit starken Anspannungen bis zum minimalistischen Experiment, in dem die Wirkung kleinster körperlicher Veränderungen auf das Bewusstsein untersucht werden. Bei der Körperachtsamkeit wird die Aufmerksamkeit auf das innere und vor allem körperliche Erleben gelenkt. Achtsamkeit ist ein Bewusstseinszustand, in dem es möglich wird, aus einer nicht wertenden inneren Distanz heraus Zeuge des momentanen Erlebens zu werden.
Geschichte
Die Ursprünge der Körperpsychotherapie zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehen vor allem auf die Psychoanalyse und die Reformbewegungen in Gymnastik und Tanz zurück. Aus den Reformbewegungen heraus hatte vor allem Elsa Gindler mit ihrem „Seminar für Harmonische Körperausbildung“ starken Einfluss auf die Körpertherapie und die Körperpsychotherapie. Der stärkste Einfluss kam von Wilhelm Reich, einem Psychoanalytiker, den Sigmund Freud vor allem wegen seiner Abkehr von der reinen „Redekur“ aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung ausschließen ließ. Reich legte mit seiner ab 1934 entwickelten Vegetotherapie einen Grundstein für die Körperpsychotherapie.
In der Folge wurden über 20 Körperpsychotherapieschulen gegründet, die unterschiedlich stark von der Psychoanalyse, von der Körpertherapie, von der humanistischen Psychologie, von der Reformpädagogik, vom Ausdruckstanz, vom Theater, von der Philosophie und/oder von der östlichen Philosophie geprägt sind.
Die Körperpsychotherapie fand über Jahrzehnte kaum positive Beachtung bei den wichtigsten psychoanalytischen und verhaltenstherapeutischen Psychotherapierichtungen und führte im Gesundheitswesen ein Schattendasein. Seit in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts die mittels bildgebender Verfahren gewonnenen neuen Forschungsergebnisse der Neurowissenschaften publiziert wurden, wächst das Interesse an körperpsychotherapeutischen Verfahren und die Einbeziehung des Körpers in der Psychotherapie wird zunehmend innerhalb etablierter Psychotherapierichtungen diskutiert.
Neurowissenschaftliche Aspekte in der Körperpsychotherapie
Sowohl die Grundannahme Sigmund Freud, dass das Denken und Handeln von unbewussten inneren Prozessen, zumindest mit bestimmt wird, eine Grundannahme welche auch von den tiefenpsychologisch fundierten Körperpsychotherapien geteilt wird, als auch die zentrale Annahme der Körperpsychotherapiemethoden, dass Körper und Geist in einer untrennbaren Wechselwirkung stehen, werden von neuen Forschungsergebnissen der Neurowissenschaften gestützt.
Auf die Bedeutung des Unbewussten weisen elf führende Neurowissenschaftler in einem gemeinsamen Manifest hin: „ Wir haben herausgefunden, dass im menschlichen Gehirn neuronale Prozesse und bewusst erlebte geistig-psychische Zustände aufs Engste miteinander zusammenhängen und unbewusste Prozesse bewussten in bestimmter Weise vorausgehen.“
Antonio Damasio untersuchte die Wechselwirkungen zwischen Körper und Bewusstsein und kam nach seinen empirischen Untersuchungen zu dem Schluss, dass die jahrhundertlang angenommene, vor allem von Descartes postulierte, Trennung zwischen Körper und Geist ein Irrtum sei. Stattdessen konstatiert er einen unauflösbaren Zusammenhang zwischen Körper und Geist, die sich ständig gegenseitig beeinflussen.
Damasios Theorie eines emotionalen Erfahrungsgedächtnis entspricht dem Konzept des impliziten Gedächtnis von Daniel Schacter. Danach gibt es neben dem üblicherweise bekannten expliziten Gedächtnis ein sensorisch und motorisch strukturiertes Gedächtnis, das im Limbischen System lokalisiert ist und welches dem Bewusstsein nicht unmittelbar zugänglich ist. Hier setzt die Körperpsychotherapie an, die mit ihren Methoden der Körperachtsamkeit affektiv-sensomotorische Erinnerungen bewusst und damit bearbeitbar machen will.
Körperpsychotherapiemethoden
Die European Association for Bodypsychotherapy (EABP), die auch die Mitinitiatorin der „American Association for Bodypsychotherapy“ ist, hat sich als Dachverband der Körperpsychotherapiemethoden etabliert und setzt die weltweiten begrifflichen und Ethik|ethischen Standards.
Von der EABP anerkannte Körperpsychotherapie-Methoden
- Biodynamische Psychologie und Körperarbeit von Gerda Boyesen
- Bioenergetische Analyse (auch “Bioenergetik”) von Alexander Lowen
- Biosynthese von David Boadella
- Core Energetic Therapy von John C. Pierrakos
- Hakomi von Ron Kurtz
- Integrative Körperpsychotherapie IBP von Jack Lee Rosenberg
- Klientenzentrierte Gesprächs- und Körperpsychotherapie GFK Integration Gesprächspsychotherapie (Carl Rogers), Focusing (Eugene Gendlin) und Körperpsychotherapie (Wilhelm Reich und weitere körperorientierte Verfahren).
- Körperzentrierte Psychotherapie IKPon Yvonne Maurer-Groeli
- Organismische Psychotherapie von Malcolm Brown und Katherine Ennis Brown
- Psychotherapie nach Albert Pesso
- Unitive Körperpsychotherapie von Jay Stattman
- Strukturelle Körpertherapie (SKT)
- Emotionale Reintegration (Peter Bolen)
Weitere Körperpsychotherapie-Methoden
Als weitere Methoden können benannt werden:
- Vegetotherapie begr. von Wilhelm Reich; modifiziert von Ola Raknes, Björn Blumenthal, Federico Navarro und anderen
- Tiefenpsychologisch fundierte Körperpsychotherapie von George Downing
- Initiatische Therapie von Karlfried Graf Dürckheim
- Formative Psychologie von Stanley Keleman
- Integrative Leibtherapie von Hilarion Petzold
- Psychoanalytische Tanztherapie von Siegel
- Synergetik-Therapie
- Funktionelle Entspannung nach Marianne Fuchs
- Konzentrative Bewegungstherapie
- Psychoorganische Analyse von Paul Boyesen
Unterschiede zwischen den Körperpsychotherapiemethoden
In der Vielfalt von Körperpsychotherapiemethoden gibt es eine weite Bandbreite an theoretischen und praktischen Unterschieden. So steht zum Beispiel in einigen Therapieschulen der energetische Aspekt mit Annahmen über körperlichen „Energiefluss“ und „Energieblockaden“ im Vordergrund, bei anderen Therapieschulen werden dagegen informationstheoretische Aspekte herausgehoben. Es gibt Methoden, welche körperliche Berührungen als zentrales Element der Arbeit betrachten und andere, welche ohne Berührungen arbeiten. Auch über die Art der verbalen Kommunikation und deren Stellenwert im therapeutischen Prozess gibt es sehr unterschiedliche Standpunkte.
Wirksamkeitserwägungen
Psychosomatische Kliniken in Deutschland und auf der ganzen Welt haben ein ähnlich ganzheitliches Verständnis von Heilung. Psychosomatische Kliniken (z.B. Bad Grönenbach oder das Krankenhaus Lahnhöhe) tragen dem Zusammenwirken von Körper und Geist Rechnung.
Auch der Umstand, dass einige Krankenkassen zwischenzeitlich die kombinierenden Behandlungsmethoden der „körperorientierten Psychotherapie“ in der Einzeltherapie bezahlen, kann als ein Hinweis auf die Wirksamkeit dieser Behandlungsmethoden verstanden werden. Es gibt bisher noch sehr wenige und wenig aussagekräftige empirische Studien zur Wirksamkeit körperorientierter Psychotherapie. Zentrale Annahmen der Körperpsychotherapie werden aber von neueren neurophysiologischen Forschungsergebnissen unterstützt.
Literatur
- Gustl Marlock, Halko Weiss: “Handbuch der Körperpsychotherapie”. Schattauer, Auflage 1 (Mai 2006)
- Albert Pesso: “Dramaturgie des Unbewußten. Eine Einführung in die psychomotorische Therapie.” Klett-Cotta, 1999
- Manfred Thielen: “Narzissmus. KörperPsycheTherapie, Band 2 − Körperpsychotherapie zwischen Energie und Beziehung”. Ulrich-Leutner-Verlag, Berlin 2002
- J. L. Rosenberg, M. Rand, D. Asay: “Körper, Selbst und Seele”, 1996
- George Downing: “Körper und Wort in der Psychotherapie”, Kösel, 1996
- Gerda Boyesen: “Über den Körper die Seele heilen”, Kösel, 1987
Weblinks
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