Eine Phobie, auch phobische Störung, ist eine krankhafte, das heißt unbegründete und anhaltende Angst vor Situationen, Gegenständen, Tätigkeiten oder Personen, allgemein vor dem phobischen Stimulus. Die phobische Störung äußert sich im übermäßigen, unangemessenen Wunsch, den Anlass der Angst zu vermeiden. Der Begriff Phobie wird jedoch auch im nichtmedizinischen Sinne für Abneigungen aller Art gebraucht.
Phobische Störung: Begriffsbildung
Der angsterzeugende Begriff – die spezifische Phobie/phobische Störung – wird, ebenfalls der altgriechischen Sprache entlehnt (sofern möglich), als erste Wortkomponente des gesamten Phobiefachsdrucks dem Wort „-phobie“ vorangestellt: Alliumphobie (Knoblauchangst), Nosokomiophobie (Krankenhausangst), Hydrophobie (Wasserangst, Wasserscheu), Thanatophobie (Angst vor dem Tod) etc.
Einordnung
In Deutschland wird wie in den meisten europäischen Staaten zur Klassifikation und Diagnostik psychischer Störungen die sogenannte ICD der WHO herangezogen. Hier ist das fünfte Kapitel für die Kategorisierung psychischer Störungen einschlägig.
Die phobische Störung werden in dem Unterkapitel F4 „Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen“ der ICD 10 behandelt. Hier werden die Agoraphobie, die Sozialen Phobien und die spezifischen (isolierten) Phobien unterschieden bzw. einzeln klassifiziert. Bei der Agoraphobie wird weiterhin zwischen der Agoraphobie ohne Panikstörung und der Agoraphobie mit Panikstörung unterschieden. Die spezifischen Phobien können ebenfalls weiter in folgende Subtypen unterteilt werden: Tier-Typ (z. B. Spinnen, Katzen), Naturgewalten-Typ (z. B. Gewitter, Wasser), Blut-Injektion/Verletzungs–Typ (z. B. Injektion durch Spritze), situativer Typ (z. B. Flugzeug, Fahrstuhl) und andere nicht näher bezeichnete Typen.
Im Laufe der Zeit und der Weiterentwicklung der diagnostischen Klassifikationssysteme sind einige zuerst zur phobische Störung zählende Störungsbilder genauer oder an anderer Stelle untergebracht worden. Die WHO zählt beispielsweise die (nicht wahnhafte) Dysmorphophobie und die Nosophobie nicht mehr zur phobische Störung, sondern zu den hypochondrischen Störungen. Auch bezüglich der Agoraphobie gibt es einige Forschungsergebnisse, die eine andere Klassifikation fordern (siehe das US-amerikanische DSM-IV).
Da sich prinzipiell spezifische phobische Störung gegen alle denkbaren Situationen oder Gegenstände entwickeln können, ist eine spezielle Bezeichnung jeder phobische Störung auch innerhalb der spezifischen Phobien kaum sinnvoll. Andererseits ist es für die medizinische Behandlung natürlich wichtig, die genauen auslösenden phobischen Stimuli (z. B. Spinnen, Fahrstühle) zu dokumentieren, da die hier hochwirksame Verhaltenstherapie unter anderem mit der Konfrontation mit den angstauslösenden phobischen Stimuli arbeitet.
Kennzeichen pathologischer Angst
Ohne damit eine eindeutige Unterscheidung zwischen „normalen Ängsten“ und phobischen Störung zu ermöglichen, sprechen folgende Kriterien für eine phobische Störung:
- die Angst ist der Situation erkennbar nicht angemessen
- die entsprechenden Angstreaktionen halten deutlich länger an, als nötig wäre
- die besonders geartete Angst ist durch die Betroffenen weder erklärbar, beeinflussbar noch zu bewältigen
- die Ängste führen zu deutlichen Beeinträchtigungen des Lebens der Betroffenen
- die Ängste schränken den Kontakt zu fremden Menschen ein
Phobische Störung: Symptomatik
Agoraphobie
Wörtlich bedeutet der Begriff Agoraphobie „Angst vor dem Marktplatz“ (Platzangst; oft fälschlich für Raumangst (Klaustrophobie)) und stammt aus dem Griechischen. Zusammenfassend ist damit eine Angst vor öffentlichen Räumen, Menschenansammlungen oder allgemeiner formuliert Situationen, von denen aus eine Flucht oder das Bekommen von Hilfe (in Not) schwierig wäre. Diese Angst tritt besonders heftig auf, wenn sich der oder die Betroffene allein an diesen Orten aufhält. Erkrankte Personen vermeiden daher öffentliche Verkehrsmittel, lange Autofahrten auf Autobahnen oder abgelegenen Landstraßen, aber auch das Einkaufen oder einen Bummel durch die Innenstadt. Zum Teil sind Betroffene nur in Begleitung einer vertrauten Person in der Lage, die alltäglichen Anforderungen zu meistern. In besonders schweren Fällen kommt es aber zur vollkommenen Isolation, wenn also das Haus oder die Wohnung als schützende Räume nicht mehr verlassen werden oder verlassen werden können.
Die Agoraphobie tritt häufig in Verbindung mit der sogenannten Panikstörung auf. Es wird daher vermutet, dass sich die Agoraphobie nicht durch Modell-Lernen und klassisches Konditionieren wie die spezifischen Phobien entwickelt, sondern in Folge einer Panikstörung auftritt.
Soziale Phobien
Kennzeichnend für die Soziale Phobie ist die Furcht, von anderen beobachtet und negativ bewertet zu werden, z. B. bei einem Vortrag („Bestimmt fange ich an zu stottern und blamiere mich bis auf die Knochen“) oder beim Essen („Meine Hände werden zittern, die anderen glauben sicher, ich bin Alkoholiker“). Die Ängste können sehr ausgedehnt (fast alle Kontakte werden gemieden) oder eng umschrieben sein („Nur, wenn ich Schecks unterschreiben muss“). Ein nahe verwandtes Bild mit fließendem Übergang zur Sozialen Phobie ist die so genannte Erythrophobie, die Furcht vor dem Erröten (in Gegenwart anderer). Außerdem gibt es die Paruresis, die verhindert, dass Menschen – insbesondere Männer – in der Öffentlichkeit Wasser lassen können.
Spezifische (isolierte) Phobien
Hierbei handelt es sich um das, was die meisten unter einer Phobie verstehen dürften: die zahlreichen verschiedenen Ängste vor Dingen oder Situationen, z.B. vor Tieren (Spinnen, Schlangen, Mäuse und Ratten), Krankheiten, Messern und anderem mehr. Nicht alle Phobien sind behandlungsbedürftig; man kann mit einer Angst z. B. vor Löwen in unseren Breiten ganz gut leben. Andererseits kann es auch hier schwerste Ausprägungen mit sehr starkem Leidensdruck geben. Die Belegung der einzelnen Formen mit komplizierten Namen bringt mit den wenigen hier schon erwähnten Ausnahmen keinen Erkenntnisgewinn für Entstehung und Behandlungsmöglichkeiten und ist heute weitgehend verlassen worden.
Gemeinsam ist den drei genannten Krankheitsformen, dass durch die gedankliche (kognitive) und physische Vermeidung des angstauslösenden Gegenstands oder der Situation Angstfreiheit erreicht werden kann, was für die übrigen Angststörungen (Generalisierte Angststörung, Panikattacken) nicht gilt – allerdings um den Preis unterschiedlich starker Einschränkungen des Alltagslebens.
Spezifische (isolierte) Phobien sind nach neueren Studien in der Bevölkerung recht häufig. Dennoch sucht nur ein kleiner Teil der Betroffenen fachmännische Hilfe, obwohl diese Phobien meist sehr gut auf eine Behandlung ansprechen und eine gute Prognose haben.
Phobische Störung: Häufigkeit
Da insbesondere die einfache phobische Störung nicht immer das Alltagsleben beeinträchtigen, ist eine Bestimmung der Häufigkeit nicht einfach. Es werden für die Lebenszeitprävalenz Zahlen von etwa elf Prozent für die einfachen Phobien, von etwa 13 Prozent für die soziale Phobie und von fünf Prozent für die Agoraphobie genannt. Generell treten Angststörungen bei Frauen etwa doppelt so häufig wie bei Männern auf, insbesondere ist der Unterschied bei der Agoraphobie ausgeprägt.
(Quelle der Zahlenangaben: Möller – Laux – Kapfhammer: Psychiatrie und Psychotherapie, Berlin Heidelberg 2000)
Phobische Störung: Ursachen
Zur Zeit sind nach wissenschaftlichem Stand die lerntheoretischen Erklärungsmodelle die einflussreichsten.
Diese Erklärungsmodelle gehen davon aus, dass die Angstreaktion von eigentlich nicht zwingend gefährlichen Situationen oder Objekten durch klassische Konditionierung erlernt wird. Das Grundprinzip dieses Lernvorganges besteht darin, dass eine Person einem Stimulus ausgesetzt ist, der auf gelernte oder angeborene Art und Weise eine Angstreaktion auslöst (z.B. ein lauter Knall oder ein Autounfall). Währenddessen ist aber die betroffene Person meist nicht nur einem Stimulus ausgesetzt, sondern einer Vielzahl von Reizen. So könnte man sich beispielsweise vorstellen, dass kurz vor dem Unfall ein Reh über die Straße gelaufen ist oder dass man sich während eines lauten Knalls im Wasser befunden hatte. Wenn die Angst in diesen Situationen groß genug gewesen ist, kann das Reh oder das Wasser (bzw. das Schwimmen im Wasser) als sogenannter konditionierter Reiz ebenfalls Angst (konditionierte Reaktion) auslösen. Die Angst, die auf den zuvor neutralen Reiz folgt, wird nun durch operante Konditionierung aufrecht erhalten: Der zuvor neutrale Reiz dient nun als diskriminativer Hinweisreiz, der zur Vermeidung der angstauslösenden Situation führt. Durch den Wegfall der erwarteten aversiven Reaktion (der Angst) wird der zuvor neutrale Reiz negativ verstärkt und die klassische konditionierte Angstreaktion nicht mehr gelöscht: Die phobische Angst durch das Vermeiden des phobischen Stimulus aufrechterhalten und verstärkt.
Dieses recht alte verhaltenstherapeutische Erklärungsmodell ist im Laufe der Zeit um das sogenannte Modelllernen und bestimmte kognitive und biologische Anteile erweitert worden. Zu den biologischen Erklärungsmodellen gehört z.B. die Annahme, dass bestimmte Stimuli eher dafür geeignet sind, eine konditionierte Angstreaktion auszulösen (z.B. Spinnen oder Schlangen); Stichwort: „Preparedness“. Hierfür werden Strukturen im Mandelkern verantwortlich gemacht.
Nonassoziative Erklärungsmodelle postulieren, das es einige wenige biologisch angelegte und evolutionär relevante Ängste gibt, deren Bewältigung erlernt werden muss. Phobien entstehen demnach nicht durch Expositon mit einem angstauslösenden Stimulus, sondern durch ungenügende Exposition oder Unterschiede in der Habituation.
Spezifische Phobien gelten innerhalb der psychoanalytischen Theorie immer als Verschiebung von Angst auf einen Gegenstand oder eine Situation. Die Verschiebung gehört innerhalb der psychoanalytischen Theorie zu den Abwehrmechanismen. Eine Angst vor einer bestimmten Vorstellung wird verdrängt und tritt dann in veränderter Form, also beispielsweise als Angst vor Spinnen oder eben bespw. Dunkelheit und Gewitter, wie es sich im Falle einer phobischen Störung im Kindesalter verhält, auf.
Die verdrängten Ängste und Konflikte können ganz unterschiedlicher Art sein. Auch Trennung, Eifersucht und dergleichen können hier angstauslösend wirken. Wichtig hierbei ist, dass die Verschiebung der Angst vor einer bestimmten Vorstellung beim Kind auf eine äußere Situation oder ein Objekt zwei wichtige Funktionen hat. Ein äußeres Objekt oder eine Situation kann aktiv gemieden werden, im Gegensatz zu einer (ängstigenden) Vorstellung, die zwangsweise auftreten kann; zweitens kann dadurch eine Beziehung konfliktfrei gehalten werden, da die Angst ja auf ein anderes Objekt oder eine andere Stituation verschoben wurde. Ein einfaches Beispiel wäre hier, dass ein Kind nicht Angst vor Trennung von der Mutter, sondern vor dem Alleinsein im Dunkel bekommt. Mit Angst wird eine andere Angst abgewehrt.
Welche Art von Phobie so entsteht, ist abhängig von dem Entwicklungsstand des Kindes. Kleinere Kinder werden eher eine Angst vor Gewittern entwickeln als vor Spinnen, wie dies bei reiferen Störungen der Fall ist. Auf welches äußere Objekt nun die Angst verschoben wird, könnte auch mit den Symbolisierungsvorgängen zusammenhängen. Dabei würde die Angst vor einem Objekt entstehen, was symbolisch die reale, aber verdrängte Angst darstellt. Auch einfache Konditionierungen könnten eine Rolle spielen.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die spezifischen (isolierten) Phobien besser mit den oben genannten Theorien zu erklären sind als die Agoraphobie oder die sozialen Phobien.
Phobische Störung: Behandlung
Medikamente
Meist werden zunächst Serotonin-Wiederaufnahmehemmer angewandt, welche die höchste Wirksamkeit bewiesen haben. Bei Nichtansprechen kann man auch Buspiron, trizyklische Antidepressiva oder MAO-Hemmer versuchen. Vielfach werden auch Benzodiazepine verwendet, die gut wirken, aber die Gefahr einer Abhängigkeit beinhalten. Generell sind die Erfolgsaussichten für eine medikamentöse Behandlung schlechter als bei Depressionen oder Schizophrenien, die Gefahr des Wiederauftretens von Symptomen nach Absetzen der Medikamente ist hoch. Daher sollte für diese Störungsbilder in fast allen Fällen die verhaltenstherapeutische Behandlung den Medikamenten vorgezogen werden. Denn hier ergeben sich weitaus höhere und stabilere Effekte.
Eine psychotherapeutische Behandlung der phobische Störung ist in vielen Fällen erfolgversprechend. Manchmal kann auch eine Behandlung ohne die Vergabe von Medikamenten erfolgreich sein.
Die Behandlung von phobische Störung mittels Verhaltenstherapie, die mit verschiedenen Konfrontationsverfahren (in sensu vs. in vivo, graduell vs. massiert) ist nachweisbar wirksam. Sie kann mit anderen verhaltenstherapeutischen Verfahren und auch mit der Gesprächspsychotherapie kombiniert werden. Ziel ist es dabei, dass Betroffene sich den Situationen und den phobischen Stimuli aussetzten, die sie bisher gemieden haben. Sie können hierdurch erleben, dass die Situation als solche nicht gefährlich ist und sie ihre Angst ertragen können. Mit der Zeit kann die Angst nachlassen (habituieren).
Auch für die Anwendung von tiefenpsychologischen oder psychoanalytischen Verfahren liegen Nachweise für die Wirksamkeit vor, diese sind aber nicht durch Metaanalysen bestätigt. Bei diesen Studien findet sich eine vergleichbare Wirksamkeit von psychoanalytischer Kurzzeittherapie und kognitiv behavioraler Therapie. Unabhängig von der gewählten Therapieform spielen Information über die Krankheit und das Bewältigen der angstauslösenden Situationen (Konfrontation) ebenfalls eine Rolle.
Selbsthilfegruppen
Sofern nicht die Krankheit selbst dem Betroffenen hier Schwierigkeiten bereitet, können Selbsthilfegruppen eine sehr wichtige Ergänzung für die anderen Behandlungsformen der phobische Störung sein und/oder nach Ende einer Behandlung deren Erfolge sichern helfen. In den letzten Jahren wird auch das Internet für die Hilfe Betroffener untereinander vielfältig genutzt.
Literatur
- Horst Dilling (Hrsg.), W. Mombour, M. H. Schmidt, E. Schulte-Markwort: Internationale Klassifikation psychischer Störungen (ICD 10 Kapitel V). Huber, Bern 2004
- Ronald J. Comer: Klinische Psychologie (2. korr. Aufl.). Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 2001
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