Konrad Lorenz (* 7. November 1903 in Wien; † 27. Februar 1989 in Wien) war einer der Hauptvertreter der so genannten klassischen vergleichenden Verhaltensforschung. Er selbst nannte dieses Forschungsgebiet bis 1949 „Tierpsychologie“ und wird im deutschsprachigen Raum als dessen Gründervater angesehen. Der „Spiegel“ bezeichnete ihn einmal als den „Einstein der Tierseele“. Ihm wurde 1973 gemeinsam mit Karl von Frisch und Nikolaas Tinbergen der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin „für ihre Entdeckungen betreffend den Aufbau und die Auslösung von individuellen und sozialen Verhaltensmustern“ zugesprochen.
Zusammen mit Rupert Riedl und Gerhard Vollmer gilt Lorenz als Hauptvertreter der Evolutionären Erkenntnistheorie, für die sein Zeitschriftenbeitrag „Kants Lehre vom Apriorischen im Lichte gegenwärtiger Biologie“ aus dem Jahre 1941 richtungweisend wurde. In seinem von ihm als Hauptwerk verstandenen Buch „Die Rückseite des Spiegels“ rundete Konrad Lorenz seine Vorstellungen über das Zusammenspiel genetischer und zivilisatorischer Einflüsse auf das Erkenntnisvermögen des Menschen ab. Im hohen Alter äußerte er sich zudem als zivilisatorisch-ökologischer Gesellschaftskritiker und wurde in Österreich zu einer Leitfigur der Grünen-Bewegung.
Konrad Lorenz: Innovativer Ansatz in der Verhaltensbiologie der Tiere
Konrad Lorenz gilt heute als einer der Mitbegründer der Biologie des Verhaltens und als ihr wichtigster Vorkriegstheoretiker. Als wegweisend für die verhaltensbiologische Forschung im deutschsprachigen Raum erwies sich Lorenz’ 1935 im “Journal für Ornithologie” erschienener, epochemachende Aufsatz „Der Kumpan in der Umwelt des Vogels“. Lorenz bündelte in den 1930er-Jahren die Tierbeobachtungen diverser Forscher in einer griffigen, physiologischen Theorie der Instinktbewegungen und bahnte so ab 1937 vor allem den Weg für das Vergleichen von Verhaltensweisen auch zwischen unterschiedlichen Arten; 1937 forschte Lorenz erstmals und mehrere Monate gemeinsam mit Nikolaas Tinbergen (an Graugänsen) in Altenberg bei Wien.
Der Begriff “vergleichende Verhaltensforschung” weist darauf hin, dass dieser Forschungsansatz die Verhaltensweisen der Tiere in ähnlicher Weise als erblich ansieht wie die Vergleichende Anatomie den Körperbau der Tiere.
Konrad Lorenz setzte weniger auf Experimente, sondern auf genaue Beobachtung und Beschreibung des Verhaltens von Tieren in ihrem natürlichen Umfeld. „Der grundlegend neue Ansatz, den Lorenz mit dieser Theorie in die Verhaltensforschung hineingetragen hat, liegt in der Annahme, dass sich in den vielfältig und variabel erscheinenden komplexen Verhaltensabläufen der Tiere gleichartig aufgebaute Grundbausteine des Verhaltens, die Erbkoordinationen oder Instinktbewegungen, identifizieren lassen. (…) Im Gegensatz zu der Anfang der dreißiger Jahre noch weitgehend akzeptierten Ansicht, dass tierisches Verhalten rein reaktiv sei, betont Lorenz die Spontaneität tierischen Verhaltens, speziell der Instinktbewegung.“ Lorenz selbst sah in Oskar Heinroth den Urvater der Ethologie, und in Nordamerika wird diese Rolle William Morton Wheeler zugeschrieben.
Die genaue Beschreibung aller beobachtbaren Verhaltensweisen in Ethogrammen und die exakte Protokollierung ihrer Häufigkeiten und Abfolgen ermöglichte den Vergleich von Verhaltensweisen zwischen unterschiedlich nah verwandten Arten. So konnte Lorenz – speziell bei Enten- und Gänsearten – bestimmte Verhaltensweisen der einen Art als Modifikationen von Verhaltensweisen einer anderen Art „erklären“ – ganz ähnlich der vergleichenden Anatomie, die häufig ebenfalls erst aus dem Vergleich bestimmter körperlicher Merkmale verwandter Arten deren Entstehen im Verlauf der Stammesgeschichte dieser Arten nachvollziehen kann. Auf dem Gebiet der Verhaltensforschung ist diese Vorgehensweise die einzige Möglichkeit, die Evolution des Verhaltens nachzuvollziehen, da fossile Belege hierfür weitgehend fehlen.
Lorenz’ Bedeutung liegt ferner darin, dass er, deutlicher als andere Forscher vor ihm, in seinen wissenschaftlichen Arbeiten den Blick auf zwei genetische Besonderheiten gelenkt hat: auf angeborene Auslöser für Verhaltensweisen („Schlüsselreize“ und „angeborene Auslösemechanismen“, AAM) sowie auf eine bei diversen Tierarten nachweisbare Entwicklungsphase, in der eine gleichsam unwiderrufliche Prägung möglich ist.
Zur Veranschaulichung seiner Grundüberzeugung, das Verhalten der Tiere werde vor allem durch innere Instinkte und weniger durch äußere Auslöser gesteuert, entwickelte Konrad Lorenz ein (gegen Reflex-Theoretiker und gegen behavioristische Anschauungen opponierendes) anschauliches und daher Jahrzehnte lang akzeptiertes “psychohydraulisches Instinktmodell”: Instinktenergien können sich diesem Modell zufolge – ähnlich wie das Wasser in einem Wasserleitungsnetz – in bestimmten Bahnen ausbreiten, aufstauen und überlaufen. Heute gilt diese Theorie unter Verhaltensforschern allerdings als überholt und wurde u.a. ersetzt durch soziobiologische, verhaltensökologische und an der Computertechnik orientierte Modelle.
Lorenz’ wissenschaftliche Bedeutung liegt aber mindestens ebenso darin begründet, dass er ganz wesentlich dazu beitrug, die Verhaltensbiologie (er selbst nannte das Gebiet bis 1949 oft auch „Tierpsychologie“) als eigenständiges Forschungsgebiet an den deutschen Hochschulen zu etablieren und diese Fachrichtung überdies ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Hierzu trugen vor allem seine diversen, seit 1949 erschienenen und auch heute noch gut lesbaren Tiergeschichten bei, in denen er versuchte – anders als die meisten Sachbuchautoren vor ihm – das Verhalten der Tiere aus ihrer jeweils “eigenen” Sichtweise zu schildern, statt ihr Verhalten aus dem Blickwinkel des Menschen zu schildern. Seine Instinkttheorie des Verhaltens regte zwischen 1935 und 1970 zudem zahlreiche Wissenschaftler zu Forschungsarbeiten an, da diese Theorie ein Erklärungsmodell bot, das man in empirischen Studien überprüfen konnte. Sein früherer Schüler Irenäus Eibl-Eibesfeldt wurde zu einem der weltweit meistgeachteten Forscher auf dem Gebiet der Humanethologie.
Viele Deutungsversuche von Verhaltensweisen der Tiere, die Konrad Lorenz veröffentlichte, halten heutigen wissenschaftlichen Kriterien nicht stand, und seine Instinkttheorie wird heute nicht mehr von Verhaltensforschern als Arbeitshypothese benutzt. Schon seit Mitte der 1970er Jahre rückten immer mehr Forscher von Lorenz’ Instinkttheorie ab und wandten sich zunehmend verhaltensökologischen und neurobiologischen Fragestellungen zu. Zur Abwendung von Lorenz trug auch bei, dass er zeitlebens das evolutionsbiologisch anfechtbare Konzept der „Arterhaltung“ verteidigte.
„Die Rückseite des Spiegels“
1973 veröffentliche Konrad Lorenz sein von ihm als Hauptwerk bezeichnetes Buch „Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens“. In diesem Buch erörtert er das Zusammenspiel von genetischen und zivilisatorischen Einflüssen auf das Erkenntnisvermögen des Menschen. Er versucht, systematische Beziehungen, Wechselwirkungen und Gesetzmäßigkeiten zwischen der biologischen und der soziokulturellen Evolution aufzuzeigen, also zwischen dem genetisch bedingten, instinkthaften und dem gelernten, kulturellen Verhalten. Ziel seiner Analysen ist eine umfassende Erklärung des menschlichen Verhaltens und – hieraus abgeleitet – vielleicht sogar eine Voraussage der weiteren kulturellen Evolution.
Das Buch gilt heute als die erste größere systematische Fassung der Evolutionären Erkenntnistheorie, die danach von dem Physiker Gerhard Vollmer und dem Meeresbiologen Rupert Riedl ausgebaut wurde.
Werke
- Konrad Lorenz (1949): Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen. (Neuausgabe von 1998 bei dtv, Bd.20225
- Konrad Lorenz (1950): So kam der Mensch auf den Hund (1950; dtv-Band 329)
- Konrad Lorenz (1963): Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression. (Neuausgabe von 1998 bei dtv
- Konrad Lorenz (1965): Über tierisches und menschliches Verhalten. 2 Bände: München / Zürich: Piper
- Konrad Lorenz (1973): Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit. (Neuausgabe als: Serie Piper, Bd.50.
- Konrad Lorenz (1973): Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens. München / Zürich: Piper
- Konrad Lorenz (1978): Vergleichende Verhaltensforschung oder Grundlagen der Ethologie. Wien / New York: Springer.
- Konrad Lorenz (1988): Hier bin ich – wo bist Du? Ethologie der Graugans. München / Zürich: Piper.
Literatur
- Antal Festetics: “Konrad Lorenz. Aus der Welt des großen Naturforschers”, München und Zürich: 1983 (Piper)
- Hanna-Maria Zippelius: “Die vermessene Theorie. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Instinkttheorie von Konrad Lorenz und verhaltenskundlicher Forschungspraxis”, Braunschweig: 1992 (Vieweg)
- Änne Bäumer: “NS-Biologie”, Stuttgart 1990: Wissenschaftliche Verlags-Gesellschaft
- Ute Deichmann: “Biologen unter Hitler – Vertreibung, Karrieren, Forschung”, Frankfurt/Main, New York: 1992
- Benedikt Föger, Klaus Taschwer: “Die andere Seite des Spiegels. Konrad Lorenz und der Nationalsozialismus”, Czernin Verlag 2001
Weblinks
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